Freitag, 11. April 2014

Der Gepard


Henning / m 33 / Schwedt/Oder


An einem Freitag fuhr ich mit meinen beiden Töchtern zu meinen Eltern. Mitten auf der Autobahn, fing meine Älteste auf einmal an, wie am Spieß zu schreien, als sie bemerkte, dass sie Nasenbluten hat. Da ich keine Möglichkeit hatte, rechts ran zu fahren, steuerte ich den Wagen mit der Linken Hand und presste ihr mit der rechten Hand ein Taschentuch auf die Nase. 
Als sie sich nach einiger Zeit beruhigt hatte und ihre Nase aufhörte zu bluten, schaute sie mich mit blutverschmierter Schnute an und streckte mir ihre ebenso blutverschmierten Händchen entgegen. Dann sagte sie trocken: „Papa, schau mal! Ich bin ein Gepard und habe gerade eine Gazelle gerissen.“
Kurze Zeit zuvor hatten wir im Fernsehen eine Dokumentation über wilde Tiere gesehen.


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The Cheetah.

One Friday I took my two kids to my parents. All of a sudden on the Autobahn my older daughter started to scream when she noticed that her nose is bleeding. As I couldnt just stop I drove the car with my left hand while using the other one to press a tissue on my daughters nose. When she calmed down and the bleeding stopped she looked at me with her face and hands covered with blood. She said: „Dad, look. I am a cheetah who has just torn a gazelle.“ Shortly before that, we watched a documentary about wild animals.





The Crying Woman


Hakim M. / m 29 / Potsdam


About 14 years ago (shortly after my 16th birthday) a few friends and I headed out for our first night of clubbing in Berlin. We went to the "Dolmen Club" close to Alexanderplatz. After a weird night among those „new“ Berlin hipsters we headed back home. I needed to go back to Potsdam while my friends were all heading in different directions. After a couple of minutes on the S-Bahn an older women entered the train. She was crying heavily and I felt I should go and talk to her. I went over and asked her if she is alright (stupid question, I know) or if she might need help. She was confused first but then we started talking about whats going on with her. Turned out she lost both of her parents in a car accident and just shortly after that, her boyfriend broke up. We were chatting all the way to Potsdam and with every minute passing by she felt relief, she said. Once we arrived she took me out for a drink and then we both split again. On saying goodbye she kissed my cheek and told me that she would have never imagined finding help from a stranger. She was smiling. I never saw her again, neither can I remember her name, but I surely will never forget this moment when two lifes crossed for a short while to help and support each other.

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Die weinende Frau


Vor ungefähr 14 Jahren (kurz nach meinem 16. Geburtstag) bin ich mit einigen Freunden zu unserer ersten Club-Nacht aufgebrochen. Wir gingen in den „Dolmen Club“, Nähe Alexanderplatz. Nach einer merkwürdigen Nacht mit all den „neuen“ Berliner Hipstern haben wir uns auf den Heimweg gemacht. Ich musste zurück nach Potsdam, während meine Freunde in andere Richtungen fuhren. Nach ein paar Minuten in der S-Bahn betrat eine ältere Frau den Zug. Sie hat stark geweint und ich hatte das Gefühl, zu ihr gehen und mit ihr reden zu müssen. Ich ging zu ihr und fragte sie, ob sie in Ordnung sei (dämliche Frage, ich weiß) oder ob sie Hilfe braucht. Anfangs war sie verwirrt, doch dann fingen wir an, uns über ihre Probleme zu unterhalten. Es stellte sich heraus, dass kürzlich beide Eltern bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind und sie kurz darauf von ihrem Freund verlassen wurde. Wir haben uns den ganzen Weg nach Potsdam unterhalten und mit jeder Minute fühlte sie sich besser, wie sie mir sagte. Als wir in Potsdam angekommen sind, hat sie mich noch in eine Bar eingeladen und danach gingen wir wieder getrennter Wege. Beim verabschieden küsste sie mir auf die Wange und sagte mir, dass sie sich nie hätte vorstellen können, solche Hilfe von einem Fremden zu erhalten. Sie lächelte. Ich hab sie nie wieder gesehen, auch kann ich mich nicht an ihren Namen erinnern, aber ich werde diesen speziellen Moment nie vergessen, an dem zwei Leben sich kreuzten, um einander zu helfen und zu unterstützen.
 





Die Zwiebel-Phobie


Daniela U. / w 32 / Potsdam


Als ich ungefähr 5 Jahre alt war, sah ich meinen Vater in der Küche eine rohe Zwiebel essen. Woraufhin ich meine Mutter bat, mir auch eine zu geben. Meine Mutter sah mich musternd an und sagt, dass mir das bestimmt nicht schmeckt, aber ich sagte: „Wenn Papa das macht, will ich das auch.“ So schälte sie mir eine Zwiebel, zerteilte sie und gab mir eine Hälfte. Ich biss hinein, zerkaute ein Stück, schluckte es herunter und gab ihr den Rest, ohne eine Mine zu verziehen, zurück. Sie frage mich, ob ich noch mehr wolle. Ich starrte sie weiterhin ausdruckslos an und schüttelte nur wortlos den Kopf. Seit diesem Tag kann ich auf keine Zwiebel mehr beißen, ohne einen Würgereiz zu verspüren.

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The Onion-Phobia.

When I was about 5 years old I watched my father eating a raw onion in the kitchen. I asked my mom if I could have one as well. She looked at me and told me that I most likely wont like it. I said: "If dad can do it, I want to do it as well." So my mom started peeling an onion for me, cut it into pieces and gave me half of it. With a straight face, I bit in it, chew the Piece, swallowed it down and gave the rest back to my mom. She asked me if I want more. I looked at her expressionless and just shaked my head. Since that day I can't bite into an onion without a gag reflex.

 







Looks like a Boy


Ewa C. / w 26 / Dąbrowa Górnicza


When I  was a 12 year old child I looked completly like a boy. I had very short hair, boy's clothes and my face was quite aquiline. 
Quite often in those times I participated in "city sport competitions" with my friends from school. One time I noticed a big thick mattress which was used for high jumps. I went there and started jumping.  Suddenly, a very serious angry man appeared, yelling at me (one of  the coaches). He took me with him and told me to stand in line with some other sad boys who had broken the rules and were waiting for punishment. He told us we did something  that's forbidden, and now we have to pay for using this equipment etc... I realized that there were only boys and he was talking to me all the time like I was a boy. Because I really wanted to avoid a "punishment" and was really stressed about this situation I decided to escape. So because I was with my friends (girls) I just turned to them , talked to them and went away. I took off my black sweater. I was wearing a white T-Shirt, so the bra under it was visible and it mislead the chase. I saw the coaches looking for me but they were looking for a boy. I was sitting with my friends just behind the coaches. They didn't find me. Later I started training in this stadium and I met those coaches many times later but they never recognized me.

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Sieht aus wie ein Junge

Als ich 12 Jahre alt war, sah ich aus wie ein Junge. Ich hatte richtig kurze Haare, Jungsklamotten und ein ziemlich herbes Gesicht. Ich in dieser Zeit habe ich oft mit Schulfreunden an Sportwettbewerben teilgenommen. Einmal bemerkte ich eine große, dicke Matratze, die für Stabhochsprung genutzt wurde. Ich lief hin und sprang auf ihr herum.  Auf einmal tauchte  ein sehr verärgerter Mann auf und schrie mich an (es war einer der Trainer). Er nahm mich mit und sagte mir, ich solle mich zu den anderen  Jungs in die Reihe stellen, welche ebenfalls die Regeln gebrochen haben und nun auf ihre Bestrafung warteten. Er sagte uns, dass wir etwas verbotenes getan haben und dass wir nun dafür bezahlen müssten, dass wir das Sportequipment benutzt haben etc.... Ich realisierte, dass es alles Jungen waren und der Trainer sprach zu mir, als wäre ich auch einer. Da ich der Bestrafung entgehen wollte und diese Situation mich wirklich sehr gestresst hat, beschloss ich zu entfliehen. Glücklicherweise war ich mit meinen Freundinnen da, ich dreht mich zu ihnen und ging hin. Ich zog  meinen schwarzen Pullover aus. Darunter trug ich ein weißes T-Shirt, das meinen BH etwas zum Vorschein brachte. Das erschwerte die Suche, da der Trainer nach einem Jungen Ausschau hielt. So saß ich unerkannt mit meinen Freundinnen direkt hinter den Trainern. Später fing ich an, in dem selben Stadion zu trainieren. Ich sah die Trainer von damals noch mehrmals wieder, aber sie haben mich nie erkannt. 





Donnerstag, 10. April 2014

Der Spontanurlaub


Anne S. / w 36 / Bremen


Im Herbst 2010 hab  ich mich relativ spontan mit einer Freundin zusammengetan, um möglichst weit weg zu verreisen. Bei der Reiseplanung gab es genau drei Kriterien, die zu erfüllen waren: Flip-Flop-Wetter, mindestens 10 Flugstunden, maximal 1000 Euro. Gelandet sind wir in Sri Lanka und es war einer der schönsten Urlaube, die ich seit langer Zeit hatte: Entdeckergeist, Kindlichkeit und Neugierde waren die bestimmenden Aspekte dieser viel zu kurzen 2 Wochen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, irgendwo angekommen zu sein. Auf einer Zugfahrt von Beruwela nach Hikkaduwa saß ich in der offenen Zugtür, meine Beine baumelten nach draußen und streiften ab und zu die an der Bahnstrecke wachsenden Sträucher und Palmen. Ich glaube, da hab ich das einzige Mal in meinem Leben vor Freude geweint.

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Spontaneous vacation

In autumn 2010 a friend and myself spontaneously decided to go on vacation to a place as far as possible. We had three criterias: Flip-Flop weather, at least 10 hours flight time and maximum budget of 1000€. We ended up in Sri Lanka and it was the best vacation for a long time: Exploratory Spirit, childishness and curiousity was the main drive in those (too short) two weeks. Somehow I had the feeling of being arrived somewhere. On a Train ride from Beruwela to Hikkaduwa I sat in the open door with my legs dangling and from time to time they touched bushes or palm trees. I believe that was the only time in my life when I cried for joy.





The Second Part of my Life


Juan V. / m 32 / Buenos Aires


I remember perfectly, that feeling of uncertainty. I was coming all the way from Buenos Aires to an interview in Berlin, without any expectations, just enjoying the moment, I wasn't really thinking on how much my life could change. After the interview I felt great, relieved, like that was the beginning and the end, I stopped worrying and spend three more days in Berlin enjoying a city that I've only seen in movies before, and read about in books. It was great and exciting, like a short vacation. Back in BA, back to routine, life was good, life was under control. I was walking with a great friend of mine when I got the call, that call from HR telling me they wanted me in, and when could I move. Again, uncertainty, happiness and all the emotions a human can get were back. I gave it a lot of thought, what to do, to move or not… but I had already made my mind a long time ago, I was moving. I didn't know how structured my life was until I had to start over, make new habits, find a place to live, make new friends, fit in a new job, discover another culture, it's like life starting over. I think we are so used to our lives, we have our routines, schedules, traditions, that we don't realize there's a lot more to do. Discovering this new segment of my life has been great. I've traveled and seen how big the world is, realized that there won't be enough time (and money) to go to so many amazing places.
Of course you can’t escape from missing your loved ones, that’s the tough call. I will always be an expat in Berlin, even if one day I dare to learn the language. But I can always go back to my loved homeland.
After almost two years I'm starting to settle in, to feel at home, to feel secure again. Winters can't take me down anymore, I've made great friends, found a nice place to live. And somehow, I just keep thinking how long it will take me until I discover the third part of my life.

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Der zweite Teil meines Lebens

Ich erinnere mich genau an das Gefühl der Unsicherheit. Ich bin für ein Vorstellungsgespräch den ganzen Weg von Buenos Aires nach Berlin gekommen, ohne Erwartungen , nur den Moment   genießend. Ich habe nicht wirklich darüber nachgedacht, wie sehr es mein Leben verändern könnte. Nach dem Vorstellungsgespräch fühlte ich mich großartig und erleichtert , als wäre es ein Anfang und ein Ende. Ich habe aufgehört, mir Sorgen zu machen und verbrachte weitere drei Tage in Berlin. Ich genoss die Stadt, die ich bisher nur in Filmen gesehen  oder in Büchern drüber gelesen hatte. Es war großartig und aufregend, wie eine Kurzurlaub. Als ich nach Buenos Aires zurück kam, war das Leben gut und unter Kontrolle. Ich war gerade mit einem guten Freund unterwegs, als der Anruf aus der Personalabteilung kam, um mir mitzuteilen, dass ich den Job habe und wann ich umziehen könnte. Wieder war ich unsicher und glücklich zur selben Zeit, all die Emotionen, die ein Mensch empfinden kann, waren wieder da. Ich habe viel darüber nachgedacht, ob ich nach Berlin ziehen sollte oder nicht.  Aber eigentlich hatte ich meinen Entschluss bereits gefasst. Ich würde umziehen. Ich wusste nicht wie strukturiert mein Leben war, bis ich von vorn beginnen musste. Neue Gewohnheiten, eine Wohnung finden, neue Freunde, in einen neuen Job einfinden, eine neue Kultur kennenlernen.... es ist wie ein neues Leben beginnen.
Ich denke wir sind so sehr an unser Leben gewöhnt, haben unsere Routine, Ablaufpläne, Traditionen, dass wir gar nicht realisieren, dass es es so viel mehr gibt. Diesen neuen Abschnitt zu entdecken ist großartig. Ich bin gereist und habe gesehen, wie groß die Welt ist. Dabei habe ich realisiert, dass gar nicht genug Zeit (und Geld) da ist, um all die wundervollen Plätze zu sehen.
Natürlich kannst du nicht vermeiden, dass du deine Liebsten vermisst, es ist eine schwierige Entscheidung. Ich werde immer ein in Berlin lebender Ausländer sein, auch wenn ich eines Tages die Sprache besser lerne. Aber ich kann jederzeit zurück gehen in mein geliebtes Heimatland.
Nach nunmehr zwei Jahren fange ich an, mich einzuleben, mich zu Hause und wieder sicher zu fühlen. Auch die Winter können mich nicht mehr runter ziehen. Ich habe gute Freunde gefunden und eine schöne Wohnung. Ich frage mich nur, wie lange es dauern wird, den dritten Teil meines Lebens zu entdecken.